Motivebene – Schärfentiefe – Beugungsunschärfe Teil I
Schatzkiste Zeitschrift „Nikon News“ Teil I – Ausgabe 4/1985 – Wie scharf ist scharf? Die alten AI und AIS Nikkore
Ich nehme Sie mit einem Artikel von Roland Kiefer noch einmal mit in die Vergangenheit der Schatzkiste Zeitschrift „Nikon News“ Teil I Nr.4 von 1985. Dort wurde auf Seite 4 die entscheidende Frage gestellt „Wie <<scharf>> ist scharf?“
Intro
Die Entwicklung in der heutigen Fotografie geht wie zu allen Zeiten in Richtung Optimierung – Optimierung der Abbildungsleistung der Objektive und Optimierung der Sensoren der Kameras. Auch ich führe in einigen Artikeln DxOMark als Leistungskriterium für Objektive und Kameras an. Dies suggeriert, dass mit dem Kauf eines möglichst hochwertigen Objektivs das Schärfeproblem gelöst sei. Bildschärfe ist aber das Ergebnis von sehr vielen unterschiedlichen Faktoren. An erster Stelle von der Sehfähigkeit unserer Augen, dem Auflösungsvermögen des Objektivs, dem Leistungsvermögen des Sensors in Richtung Bildrauschen, genauem Fokussieren, einer korrekten Belichtung, der Lichtbeugung, der Kontrastwiedergabe und der Bewegung von Objekt und/oder Kamera.
Deshalb fasse ich zuerst die wichtigsten Kernaussagen aus der Nikon News 4/1985 kurz zusammen und übertrage dabei auf heutige digitale Vergleichsparameter durch „Einschübe“ .
Die Motivebene
Das menschliche Auge erzeugt die Vorstellung im Gehirn, als ob wir entfernte und nahe Gegenstandspunkte gleichzeitig scharf sehen würden – man nennt diesen Vorgang Akkommodation. Zum Glück unterscheidet sich hier die Fotografie grundlegend vom Auge, ansonsten wäre eine Freistellung eines Objekts nicht möglich. Ein Objektiv stellt auf nur eine Motivebene (auch Gegenstands- oder Einstellebene genannt) scharf, d.h. dort, und nur dort wird eine mögliche Maximalschärfe erreicht.
Einschub I:
Dieses Problem sehen wir immer öfters bei den höchstwertigen neuen Objektiven. Diese Objektive müssen wir jedes für sich – z.B. die Sigma Art Serie – optimal auf die Sensorebene der jeweiligen Kamera justieren, da der maximale Schärfepunkt, der mit dem Objektiv erreicht werden kann, eigentlich im tausendstel Millimeterbereich liegt.
Alle davor und dahinterliegenden Motivteile sind unscharf. Zum Glück gibt es in der Fotografie den sogenannten Unschärfeverlauf, in dessen Bereich wir Dinge noch als scharf empfinden. Die selektive Schärfe ist deshalb ein Gestaltungsmerkmal und fokussiert den Blick genau auf diesen Schärfebereich.
Die Schärfentiefe
Diese Schärfenausdehnung stellen wir vom Schärfemotiv ausgehend davor und dahinter fest. Dieser Bereich ist die sogenannte Schärfentiefe, die unserem Auge Schärfe vortäuscht, die es eigentlich nicht gibt. Denn wir sehen zwei eng beieinander liegende Punkte – heute digital pixel genannt – die sich nur gering in der Tiefe und in der Größe unterscheiden – nur als einen Punkt. Deshalb definiert Roland Kiefer in seinem Artikel Schärfentiefe als „tolerierbare Unschärfe“.
Einschub II:
Heutige Fotos mit 56 MB oder mehr lösen so im Detail auf, dass sie unser Sehvermögen eigentlich überfordern. Wird der maximale Schärfepunkt auf der Motivebene so exakt getroffen und oft aufgelöst, empfinden wir – z. B. Portraits – als unangenehm scharf. Dieses Phänomen ist schon 1964 beim Nikon Nikkor 1.8 K Objektiv aufgetreten. Es hat im Zentrum eine so brutale Schärfeleistung, dass damalige Fotografen eine Änderung für die Portraitfotografie forderten. Das Nikon Nikkor 85mm 2.0 AI Objektiv war die Folge. Außerdem wurde auch der Farbverlauf noch deutlicher auf den Haut Ton abgestimmt.
Die Beugungsunschärfe
Soll ein Foto – z.B. eine Landschafts- oder Architekturaufnahme – von vorne bis hinten scharf sein, muss die Schärfentiefe möglichst groß sein. Jeder Fotograf geht deshalb davon aus, dass durch möglichst großes Abblenden die Schärfentiefe über den gesamten Motivbereich zunimmt. Hier kommt aber leider ein weiteres fotografisches Phänomen hinzu – die Beugungsunschärfe.
Definition
An den Kanten der Blende werden Lichtstrahlen gebeugt. Durch die Beugung tritt Unschärfe auf. Je weiter die Blende geschlossen wird, umso kleiner wird banal gesagt das Blendenloch und umso mehr Lichtstrahlen werden gebeugt. Selbst bei den AIS Profiobjektiven setzt dieses Phänomen oft ab Blende 11 oder 16 ein.
Nikon hat deshalb damals, um dies in den Griff zu bekommen, mehrere bautechnische Tricks angewendet. Bei den hochwertigen Weit- und Extremweitwinkel Objektiven wie dem 20mm 2.8 AIS oder dem 16mm AF 2.8 D Objektiv wurde das sogenannte CRC System (Close-Range Correction) entwickelt. Es bietet eine herausragende Bildschärfe bei engen Fokussierabständen und vergrößert den Schärfebereich, weil es Lichtbeugungen besonders im Nahbereich verhindert. In Kombination mit der mehrschichtigen Versiegelung (SIC) der optischen Elemente im NIKKOR Objektiv führt dies zu weniger Lichtbeugungen und damit zu einer überragenden Abbildungsqualität. Außerdem die Anwendung von asphärischen Linsen zur Reduzierung des Öffnungsfehlers.
Die hauptsächlichen Schärfeparameter der damaligen Zeit
Es waren damals zwei bestimmende Faktoren, die die Berechnungen der Objektive beeinflusste:
Schatzkiste Zeitschrift „Nikon News“ Teil I Faktor 1)
es wurde mit einer Fotografie Größe von 9×12 cm Endformat gerechnet. Dies entspricht einer 3x maligen Vergrößerung. 18×24 cm wäre eine 7x malige Vergrößerung und käme den heutigen Fotobüchern nahe.
„Untersuchungen haben gezeigt, dass diese tolerierbare Unschärfe bei einem Betrachtungsabstand von 30cm – das ist der Abstand, aus dem normalerweise ein in der Hand gehaltenes Foto (… 9x12cm) angeschaut wird – je nach Sehleistung des Auges etwa 0,15mm bis 0,1mm beträgt“ (Seite 6, Nikon News 4,1985).
Schatzkiste Zeitschrift „Nikon News“ Teil I Faktor 2)
Das Auflösungsvermögen vom Auge von einem 1/10mm bei einem Betrachtungsabstand von 30cm wurde bei fast allen Objektivproduzenten als Minimalstandard zur Herstellung von Objektiven zugrunde gelegt.
Dies führte dazu, dass, wie auch in der heutigen Zeit die sogenannten Kitobjektive, extra preislich günstige Amateur Objektive und Kameras produziert wurden. Aber auch unter diesen Produkten gibt es herausragende Objektive. Ich nenne sie mal Glücksfälle der Fotogeschichte, z.B. das Nikon Serie E 100mm 2.8 Objektiv. Einfacher Linsenaufbau und optimal berechnet ergibt dies eine überragende Schärfeleistung vom Zentrum bis zum Rand.
Die Profiobjektive erfüllten allerdings auch schon zur damaligen Zeit andere Kriterien. Aus diesem Grund überzeugen diese Objektive auch heute noch mit herausragenden Endergebnissen im DIN A4 Format und bei Ausschnittvergrößerungen.
Das heutige Schärfeempfinden
Legt man unser heutiges Schärfeempfinden zugrunde, für mich der dritte entscheidende Faktor, sind selbst diese herausragenden Objektive auch nur noch bis zu einer bestimmten Blende im optimalen Schärfefenster. Es gibt wenige Objektive, die schon bei voller Blendenöffnung fast bis in den Randbereich extrem scharf abbilden. Dazu gehören auf jeden Fall die AIS Micro Nikkore, das 105mm 2.5 AI/AIS, das 135mm AIS, das 180mm ED AIS, das 20mm AIS, das 16mm AF D und das 28mm AIS Objektiv. Diese Highlights der Objektivbaukunst verrichten auch an einer Nikon D810 hervorragende Arbeit – wenn man sie nicht überfordert und ihre Grenzbereiche kennt. Denn auch das überragende Micro Nikkor 105mm 2.8 AIS erbringt seine extreme Motivschärfe im Randbereich erst nach zweimaligem Abblenden bei Blende 5.6. Aber genau für diesen Blendenbereich von 5.6 bis 11 wurde das Objektiv gebaut und ist dann auch heute noch unschlagbar. Viele dieser Profi-Objektive fangen ab Blende 11 oder 16 an zu schwächeln. Deshalb ist es bei allen Objektiven immer wichtig, den optimalen Schärfebereich zu kennen und zu beachten.
Einschub III:
Die heutige Generation von Objektiven, egal welcher Hersteller, basieren auf anderen Kriterien der Herstellung:
- es sollen möglichst alle Verzerrungen, Vignettierungen und Kontrastfehler durch eine optimale Berechnung eliminiert werden – egal welche Bildgröße das Endprodukt hat. Dies führt dann zu Objektivmonstern mit 17 oder mehr Linsen in 13 Gruppen. Im Vergleich dazu: das Nikon Serie E 100mm Objektiv kommt mit 4 Linsen aus.
- die neuste Generation von höchstwertigen Objektiven MÜSSEN eigentlich alle auf den jeweiligen Sensor der Kamera speziell eingemessen werden, um ihre maximale Schärfeleistung ausspielen zu können. (Aber auch dann decken sie nicht alle drei Schärfebereiche – Nah-, Mittel- und Fernbereich – gleich optimal ab.)
- die heutige Sehkultur findet nicht mehr in den Größen 9x13cm statt, sondern eher im Bereich DIN A4 und größer – auch auf den digitalen Medien wie PC oder Laptop. Auch diese Größen und größer kann heute ein Sigma 35mm 1.4 Art Objekiv problemlos.
Die Korrekturprogramme der Kamera
Zu guter Letzt kommt noch die Kamera mit ihren Verzerr-, Belichtungs- und Kontrastkorrekturen hinzu. Die Nikon D7200 z.B. als Weiterentwicklung der D200/D300er Reihe, liest sämtliche neue Objektive automatisch ein. Wenn die Korrekturprogramme aktiviert sind, produziert das Kameraprogramm perfekt korrigierte JPG-Fotos. Je höherwertig das Objektiv, desto besser die Abbildungsqualität ohne Fehler. Alle Korrekturprogramme lassen sich auch noch individuell einstellen. Damit ist ein nachbearbeiten für den Normalnutzer überflüssig geworden. Und dann gibt es ja auch noch das RAW Format für das Optimum.
Fazit:
Als Endnutzer muss ich die Frage beantworten: Wie genau kenne ich meine Kamera und das AI/AIS Objektiv? Und was soll das Endprodukt werden? Wenn ich als ambitionierter Amateur hochwertig fotografieren möchte und die herausragenden Nikkore der AI und AIS Ära richtig nutze, erzeuge ich auch digital höchstwertige Fotos. Da ich immer mit alten AIS und neuen Nikon oder Sigma Objektiven gemischt fotografiere, möchte auch ich keine Qualitätsunterschiede bei den Endprodukten im Schärfebereich feststellen. An beiden Kameragehäusen – der Nikon Df als FX Kamera als auch der Nikon D7200 als DX Variante erreichen die AI/AIS Objektive eine Abbildungsleistung im Schärfebereich, die für meine Nutzung – DIN A4 Fotobücher, DIN A3 Fotokalender oder schwarz-weiß Fotos – perfekte Resultate ermöglichen. Außerdem eröffnen diejenigen Kameras von Nikon, wie z.B. die Nikon D7200/D7500, bei denen die alten AI/AIS Objektive automatisch von den Korrekturprogrammen erkannt werden, nachdem sie eingelesen wurden, auch alle Varianten der Nutzung. Die Nikon Profiobjektive der 70ziger und 80ziger Jahre sind auch heute noch mit ihrer Schärfeleistung absolut konkurrenzfähig – wenn man ihre Grenzen beachtet.
Schatzkiste Zeitschrift „Nikon News“ Teil I Autor: Rüdiger Harth – Nikonanalog Schatzkiste Zeitschrift „Nikon News“ Teil I
Autor: Rüdiger Harth – Nikonanlog.de
© Rüdiger Harth für Nikonanalog.de